Obwohl allen SozialdemokratInnen klar ist, dass die Festlegung einer Schuldengrenze in der Verfassung keinen Spielraum für eine sozialdemokratische Finanzpolitik zulässt, hat die Fraktionführung darauf bestanden, dass die SPD-Abgeordneten der Föderalismusreform II zustimmen. Dennoch gab es 19 Nein-Stimmen, die den Willen der SPD-Mehrheit ausdrücken.
Der Frankfurter SPD-Parteitag (i.V. der UB-Beirat) hat einen Antrag in veränderter Form beschlossen. Der ursprüngliche Antrag des SPD-Ortsvereins Nordweststadt-Süd ist im Folgenden abgedruckt:
Sozialdemokratische Politik angesichts der Finanz-/Wirtschaftskrise:
Ein Schuldenverbot darf nicht in die Verfassung
Nein zur Föderalismusreform II
Die SPD-Parteivorstände in Hessen (Land, Bezirke, Unterbezirke) und die SPD-Landtagsfraktion werden aufgefordert, eine Informations- und Aufklärungskampagne gegen die von der Hessischen Landesregierung geplante Festlegung einer Schuldengrenze in der Hessischen Verfassung per Volksabstimmung durchzuführen und im Hessischen Landtag gegen eine solche Verfassungsänderung zu stimmen.
Begründung:
CDU und FDP haben in ihre Koalitionsvereinbarung für die neue Landesregierung in Hessen u.a. vereinbart, eine Volksabstimmung durchführen zu lassen, um ein Schuldenverbot in die Hessische Verfassung aufzunehmen. Dies ist eine Vorwegnahme der Diskussion in der Föderalismuskommission des Bundes und der Länder, die im Kern der Föderalismusreform II die Übernahme der Verschuldungsgrenze des Maastrichter EU-Vertrags vorsieht. Bundesfinanzminister Steinbrück hat der Föderalismuskommission empfohlen, diese Verschuldungsgrenze auf 0,5 Prozent festzulegen.
Damit wäre jeglicher Spielraum für eine antizyklische Konjunkturpolitik, politische Kurskorrekturen (z.B. ein Kurskorrektur in der Bildungspolitik, die die Einstellung von 5.000 zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrer beinhaltet, wie es der Frankfurter Jahresparteitag von 2007 vorgesehen hatte, wäre nicht möglich) und auch die vom Bund verabschiedeten Not- und Konjunkturprogramme angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise unmöglich gemacht.
Material:
Der Bezirk Hessen-Süd der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen hatte dazu folgenden Antrag vorgelegt.
Erklärung der AfA zu Steinbrücks Plänen bezüglich der Föderalismusreform II:
Die AfA verteidigt auch weiterhin das Verfassungsgebot der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ in ganz Deutschland
Finanzminister Steinbrück will die Bestimmungen des EU-Stabilitätspakts in das Grundgesetz einpflanzen. Das aber heißt, dass das staatliche Ordnungsprinzip als „demokratischer und sozialer Bundesstaat“, des solidarischen Föderalismus und das Gebot der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ aufgehoben wird.
Das Prinzip des Wettbewerbsföderalismus soll unserer Verfassung nach dem Gebot der durch nichts demokratisch legitimierten EU-Kommission aufgezwungen werden.
Steinbrück handelt mit seinem Vorstoß hinter dem Rücken der SPD.
Das kann kein/e Sozialdemo-krat/in hinnehmen.
Nach der Verabschiedung der Föderalismusreform I am 30. Juni 2006, die vom AfA-Bundeskongress 2006 abgelehnt wurde (1), haben Bundestag und Bundesrat am 15. Dezember 2006 beschlossen, eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (kurz: Föderalismusreform II) einzurichten. (2)
Am 14. Februar 2008 nun hat der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in Umsetzung des EU-Stabilitätspakts, der bereits im Zuge der Föderalismusreform I im Grundgesetz verankert wurde, ein Konzept auf Begrenzung der Staatsverschuldung in die Föderalismuskommission eingebracht. Kern des Konzepts ist die Eingrenzung der dauerhaften Verschuldung (des Bundes und der Länder!). Diese „strukturellen Defizite“ sollen auf 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts begrenzt werden.(3)
Mit der Einführung dieser „Steinbrück Kriterien“ in das Grundgesetz wird die Haushaltshoheit des Parlaments, das heißt die Parlamentarische Demokratie, weitestgehend ausgehöhlt. Nach Einschätzung von Wirtschaftswissenschaftlern bringen die Steinbrück Kriterien mehr Risiken als Chancen: „Der Finanzpolitik fehlt dann der Spielraum, um in einer schwierigen Wirtschaftslage angemessen zu reagieren“ (Prof. Dr. Gustav A. Horn)
Nach Berechnungen des Finanzministeriums hätte der Bund mit der neuen Regelung seit dem Jahr 2000 über 100 Mrd. Euro weniger Kredite aufnehmen können, als nach den aktuellen Bestimmungen des Grundgesetzes. „…es ist eine gefährliche Illusion: Wenn die öffentliche Hand dem Wirtschaftskreislauf dermaßen viel Geld entzogen hätte, wäre Deutschland in eine tiefe Rezession geschlittert mit hohen Folgekosten.“
Damit drohe eine zunehmende Destabilisierung der konjunkturellen Entwicklung, die durch Steuerausfälle und hohe Sozialtransfers wiederum die öffentlichen Finanzen belaste, die dann aber nicht aufgebraucht werden könnten ohne enorme Steuererhöhungen.
Darüber hinaus warnt die stellvertretende Parteivorsitzende Andrea Nahles zu Recht davor, dass Zukunftsinvestitionen in Bildung und Familie dann nicht mehr möglich sind. Die politische Gestaltungsfähigkeit tendiert gegen Null. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poss warnte vor den Konsequenzen, der Einsparung von 15 Mrd. Euro. Die Konsequenzen sind laut Prof. Karl Lauterbach „Kürzungen wie mit dem Rasenmäher“.
Schließlich wird mit dieser 2. Stufe der Föderalismus„reform“ der Regierung der Großen Koalition das Realität, was die Bundestagsabgeordneten bei der 1. Stufe der Föderalismusreform nicht wollten: Im Namen des Europäischen Wettbewerbs wird mit dem Verfassungsprinzip des solidarischen Föderalismus endgültig gebrochen.
Die Bundesländer werden in einen erbarmungslosen Wettlauf um Sozial- und Lohndumping getrieben und Deutschland einem sozialen Verfall ausgeliefert werden, der auch den politischen Verfall nach sich ziehen wird. Schon seit einigen Jahren erleben wir, wie die soziale Einheit der Republik, der einheitlichen Lebensverhältnisse durch die Agenda-Politik und ihre Umsetzung insbesondere durch Koch in Hessen erschüttert werden und die Spaltung zwischen West- und Ostdeutschland vertieft wird. Schon anlässlich der Föderalismusreform I hatte Wlfgang Thierse, SPD-Vizepräsident des deutschen Bundestages, gewarnt: dass diese „zur Verewigung des ostdeutschen Rückstands“ führt.
Roland Koch in Hessen ist der Vorreiter des brutalstmöglichen Kahlschlags, der Verlängerung der Arbeitszeit für die Angestellten und Beamten des Landes, des Tarifbruchs per Gesetz. Auch die Bildungspolitik hat die Koch-Regierung ihre föderalistische Autonomie genutzt, um die Selektion und Privatisierung der Bildung und des Gesundheitswesens voranzutreiben. Schließlich hat die Regierung Koch in diesem Rahmen die Grundsätze der Hessischen Gemeindeordnung so verändert, dass der Vorrang der Privatisierung gegenüber kommunaler Tätigkeit vorgeschrieben wurde. Dies hat zu einem verstärkten Wettlauf der Kommunen in der Privatisierung und Vergabe der öffentlichen Daseinsvorsorge geführt.
Diese Politik ist in Hessen abgewählt worden. Eine SPD-geführte Regierung in Hessen wird den Vorrang der Privatisierung kommunaler Tätigkeit aus der Hessischen Gemeindeordnung wieder herausnehmen. Die im SPD-Programm angekündigte Sicherung der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ und die Zusagen, wieder verstärkt in die Bildung zu investieren werden (siehe „Sozialdemokratisches Regierungsprogramm 2008 – 2013“) durch die Einführung der „Steinbrück-Kriterien“ zunichte ge-macht, da der Begrenzung der Verschuldung auch die Bundesländer unterworfen sind. (Das war Stand 2008; der Verf.)
Können wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dies akzeptieren? Dies widerspricht dem Willen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und muss deshalb zurückgewiesen werden.
In Art. 20 GG ist ausdrücklich das Widerstandsrecht gegen jeden der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen festgeschrieben worden.
Muss nicht mit dem widersinnigen Stabilitätspakt gebrochen, das heißt die Föderalismusreform II gestoppt und die Föderalismusreform I rückgängig gemacht werden?
Fußnote 1
Beschluss der AfA-Bundeskonferenz vom April 2006: Die AfA-Bundeskonferenz fordert die SPD-Bundestagsfraktion auf, diese Föderalismusreform wegen ihrer tiefgreifenden Revision der „Ordnung des demo-kratischen und sozialen Rechtsstaates“ (Artikel 20 Grundgesetz), die auch dem System der Flächentarifverträge das Grab schaufelt, abzulehnen.
Fußnote 2:
Am 30. Juni 2006 haben 15 sozialdemokratische Abgeordnete mit Nein gestimmt, womit sie die tiefe Ablehnung der Föderalismusreform in der Bevölkerung, in der SPD und in den Gewerkschaften zum Ausdruck brachten. Viele andere SPD-Abgeordnete haben das Gesetz passieren lassen – doch nur unter größtem Bedenken und Besorgnis. In vielen Erklärungen taucht immer wieder die Sorge auf, dass mit dieser Reform „ein Wettlauf nach unten einsetzen wird und negative Verhältnisse zementiert werden“
Viele Abgeordnete betonten deshalb ihre „dringende Erwartung, dass bei der zweiten Stufe der Föderalismusre-form (der Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern) dem „Ziel der Sicherung der Gleich-wertigkeit der Lebensverhältnisse Rechnung getragen wird und die Zusagen aus dem Solidarpakt II für die neuen Länder unangetastet bleiben“ (aus einer Erklärung mehrerer ostdeutscher und einem Berliner Abgeordneten). „Grundsätzlich stellen wir fest: Der solidarische Föderalismus war bisher ein Fundament der Er-folgsgeschichte der Bundesrepublik. Dieses Fundament darf nicht zerstört werden durch einen Wettbewerbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhindert.
Die Unterzeichnenden machen mit der Erklärung auch gemeinsam deutlich, dass sie bei den weiteren Verhandlungen über die zukünftige Gestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen für unverzichtbar halten, dass die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zentrales politisches Ziel und Verfassungsauftrag auch für die Zukunft bleiben müssen. Hieran haben sich auch alle Überlegungen zu den zukünftigen Finanzbeziehungen von Bund und Ländern und der Länder untereinander zu orientieren.“
Fußnote 3:
Den Großteil des strukturellen Verschuldungspielraumes beansprucht der Bund mit 0,35Prozent für sich – das wären aktuell 8,5 Milliarden Euro. Anders als bisher könnte sich der Finanzminister auch nicht mit dem Verkauf von Volksvermögen retten – Privatisierungserlöse sollen den rechtlichen Rahmen nicht mehr erweitern. Berücksichtigt werden soll zudem, dass ein Haushalt mit der Konjunktur „atmen“ muss. In schlechten Zeiten mit steigenden Arbeitslosenzahlen und sinkenden Steuereinnahmen dürften die Kredite etwas höher ausfallen. Umgekehrt müsste in guten Zeiten das tatsächliche Defizit unter der strukturellen Grenze von 0,5 Prozent liegen. So wäre nach Kalkulationen des Finanzministeriums in der Flaute zwischen 2002 und 2004 der Spielraum konjunk-turbedingt jeweils um rund acht Milliarden Euro höher ausgefallen. Dagegen hätte die Konjunkturkomponente 2008 einen zusätzlichen Konsolidierungsbetrag von fünf Milliarden Euro verlangt.
Weitere Vorsichtsmaßnahmen sollen verhindern, dass die Vorschriften in der Praxis umgangen werden. Schätzt etwa eine Regierung die Kosten einer Steuerreform zu niedrig ein, müssten sie den Unterschied zwischen tatsächlicher und geplanter Verschuldung auf einem Ausgleichskonto verbuchen. Wenn dort aus einerunerwarteten Verbesserung des Haushaltes Guthaben liegen, hätte dies keine Folgen. Andernfalls müsste sie zur Defizitminderung korrigierend eingreifen. Ausnahmen von den Regeln sollen nur möglich sein, wenn eine bereite parlamentarische Mehrheit – etwa zwei Drittel des Bundestages – zustimmen.
Anmerkung: Mittlerweile hatte die Föderalismuskommission die Empfehlung vom Bundesfinanzminister angenommen. Aufgrund der Bankenkrise und der Notprogramme der Bundesregierung wurde diese Empfehlung bisher nicht in den Bundestag eingebracht.
Michael Altmann
Ortsvereinsvorsitzender